Was braucht mein Kind? – menschliche Grundbedürfnisse

Um feinfühlig auf die Bedürfnisse unserer Kinder einzugehen, müssen wir ihre Bedürfnisse und deren Ausdruck kennen. Zu den psychologischen Grundbedürfnissen gehören, nach Klaus Grawe: Bindung, Autonomie/ Kontrolle Selbstwertschutz/ Selbstwerterhöhung, Lustgewinn/Unlustvermeidung.

Bedürfnisse wollen befriedigt werden

Unsere Bedürfnisse sind der Evolution entsprungen. Unsere Vorfahren haben überlebt, weil sie ihre Bedürfnisse zu bestimmten Handlungen geleitet haben, wie Zusammenhalt in der Gruppe, Anpassung, aber auch Erkundung.Das Ziel unserer Bedürfnisse ist noch heute: Unser Überleben sichern. Konsistenz heißt der Zustand in dem was wir wollen dem entspricht was wir kriegen. Es ist ein Zustand in dem unsere Bedürfnisse befriedigt sind und wir uns pudelwohl fühlen.

Was wenn Bedürfnisse nicht befriedigt werden?

Sind Bedürfnisse unbefriedigt führt dies zu einem Spannungszustand. Diesen Spannungszustand kann man aushalten, dazu nutzt man die eigene Frustrationstoleranz, eine begrenzte Ressource. Gleichzeitig motiviert dieser Spannungszustand Handlungen auszuführen, um das unerfüllte Bedürfniss zu befriedigen („Annäherungsverhalten“) oder zu vermeiden keine weitern Bedürfnisverletzungen zu erleiden („Vermeidungsverhalten“). Ein Kind, dessen Eltern nicht genug Aufmerksamkeit schenken, kann beispielsweise darum betteln oder sich verhalten als sei es nicht anwesend. Unbefriedigte Grundbedürfnisse können zur Entwicklung von psychischen Erkrankungen führen/ beitragen.

Bindung

Bindung ist das Gefühl der Zugehörigkeit. Bindung, Teil der Gemeinschaft zu sein, ist überlebenswichtig. Das merkt man besonders bei Kindern, die auf ihre Eltern angewiesen sind. Die Evolution hat uns viele Emotionen mitgegeben, die Bindung herstellen bzw. halten: Liebe, erotische Anziehungskraft, Scham, Trauer und Angst. Vor dem Erwachsenenalter ist das Bindungsbedürfnis den anderen drei übergeordnet, das bedeutet, dass erst wenn eine sichere Bindung besteht die anderen Bedürfnisse befriedigt werden können.

Bindungsbeziehungen sind emotional tiefgreifende Beziehungen an wichtige Bezugspersonen, die nicht (/ nur schwer) auswechselbar sind. In der Kindheit sind (meist) die Eltern die wichtigsten Bindungspersonen. Werden die Bindungsbedürfnisse adäquat erfüllt, indem die Bezugsperson in belastenden Situationen emotional verfügbar ist, entsteht ein sicherer Bindungsstil. Kinder mit einem sicheren Bindungsstil suchen in Not und Angst ihre Eltern auf, um sich von diesen trösten zu lassen. Die Eltern sicher gebundener Kinder reagieren feinfühlig auf das Verhalten des Kindes. Das bedeutet sie nehmen die Bedürfnisse ihres Kindes wahr, reagieren schnell und angemessen (situations- und altersentsprechend) auf dieselben. Dadurch lassen sich ihre Kinder schnell beruhigen und trauen sich anschließend wieder die Welt zu erkunden.

Autonomie/ Orientierung und Kontrolle  

Menschen streben nach Sicherheit. Sie wollen die Welt als verstehbar, vorhersehbar und beeinflussbar erleben. Sich selbst als Opfer unverständlicher, unkontrollierbarer und nicht beeinflussbarer äußerer Einflüsse wahrzunehmen, das will niemand. Erlebt man wenig Orientierung und Kontrolle, führt dies zu einem Gefühl von Hilflosigkeit, Passivität und verminderter Lebenslust. Erfahrungen von Kontrollverlust stehen in Zusammenhang mit Angst- und Zwangsstörungen, mit Anpassungsstörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen.

Um Orientierung und Kontrolle zu erleben, benötigen Kinder zwei Sachen:

  1. Eine Erziehung, die durch klare Regeln und konsistentes Handeln, nachvollziehbar und verstehbar ist.
  2. Eine Erziehung, die entwicklungsangepasst ist, insofern als dass sie, weder unter- noch überfordernd, dem Kind die Beteiligung an Entscheidungen bzw. das eigenständige Treffen von Entscheidungen ermöglicht.

Kinder erleben Kontrollverlust, wenn ihre Umgebung überfordernd, nicht verstehbar und inkonsistent ist.

Eng verbunden mit Kontrolle ist Autonomie. Autonomie bedeutet den eigenen Weg zu gehen, statt den Bindungen ausgeliefert zu sein. Autonomie entsteht, wenn Kinder ihre eigenen Fähigkeiten ausbauen können und das Gefühl entwickeln, dass sie Beziehungen mitgestalten. Sie empfinden also Kontrolle über Situationen und Beziehungen. Dieses Autonomiegefühl kann sich entwickeln, wenn Eltern dem Kind einen eigenen Willen zugestehen, ihm zuhören und es sich verstanden fühlt. Ein Kind beispielsweise, das sagt „selber machen“ will die eigenen Autonomiefähigkeit ausbauen, es fühlt sich am meisten verstanden, sein Bedürfnis wird erfüllt, indem die Eltern sagen „Gerne!“ und als Hilfe zur Seite stehen, statt zu sagen „Lass mich das machen, das geht schneller.“ Die einzige Emotion, die Menschen zur Erreichung/ Verteidigung der Autonomie haben, ist die Aggression. Das Trotzalter (ca. Drittes Lebensjahr) ist der Höhepunkt der Autonomieentwicklung.

Selbstwertschutz/ Selbstwerterhöhung

Menschen möchten über sich selbst denken, dass sie „gut“ oder „in Ordnung“ sind. Eine Selbsteinschätzung als „schlecht“ führt zu psychischem Leid. Depressive und sozial unsichere Patienten glauben „Ich bin nicht gut (genug).“

Die Bedürfnisse sind miteinander Verbunden. Ein positiver Selbstwert entsteht, wenn die Bedürfnisse eines Kindes nach Bindung und Autonomie von den Eltern erfüllt werden. Ein Kind, dessen Bindungsbedürfnis erfüllt wird, denkt „Ich bin erwünscht. Ich bin es wert, dass man sich kümmert.“ Ein Kind, dessen Automomiebedürfnis erfüllt wird, wird in der Ausbildung eigener Fähigkeiten gestärkt, glaubt „Ich kann das.“ Und kann Anerkennung für seine Fähigkeiten bekommen. Kriegen Kinder von ihren wichtigen Bezugspersonen wertschätzende Rückmeldung, so wird ihr Bedürfnis der Selbstwerterhöhung, das Streben nach Anerkennung, befriedigt.  

Dieses Bedürfnis wird verletzt, wenn Kinder ständige Kritik, Abwertungen und Beschimpfungen von den Eltern erfahren. Auch Kinder, die von ihren eigenen Eltern misshandelt oder missbraucht werden, erleiden besonders nachhaltige Verletzungen des Bedürfnisses nach Selbstwertschutz. Da sie sich von ihren Eltern in existenzieller Weise als abhängig erleben, erhalten misshandelte Kinder die Illusion guter Eltern, indem sie sich selbst abwerten, die Schuld für die Taten ihrer Eltern auf sich nehmen, um an der Bindung festzuhalten.

Fun Fact: Ein Phänomen der psychologischen Grundlagenforschung, das das Bedürfnis nach Selbstwertschutz/ Selbstwerterhöhung wiederspiegelt ist der „Überdurchschnittlichkeitsefffekt“ („Above-Average-Effect“): Menschen neigen dazu ihre eigenen Qualitäten und Fähigkeiten im Vergleich zu Anderen zu überschätzen. Beispielsweise schätzten sich bei einer Umfrage 66% der Psychotherapeuten als überdurchschnittlich ein. Und 25% der Therapeuten meinten, sie seien unter den 10% der besten.

Lustgewinn/ Unlustvermeidung

Menschen bewerten Situationen in denen sie sich befinden automatisch auf einer Skala von „gut“ bis „schlecht“. Wenn etwas als angenehm empfunden wird, nähern wir uns demselben an, versuchen es (öfter) zu erleben (Lustgewinn). Wird etwas als unangenehm empfunden, wird es vermieden (Unlustvermeidung). Dabei ist die Bewertung als „gut“ oder „schlecht“ individuell verschieden. So empfinden Kinder üblicherweise bitteren Geschmack als unangenehm, manch ein Erwachsener mag bittere Lebensmittel. Das Motiv des Lustgewinns/ der Unlustvermeidung ist schon bei Kleinstkindern handlungsleitend. So möchte Anna gerne mit Bauklötzen spielen, während Lisa lieber malt.

Was braucht mein Kind?

Was dein Kind braucht sind keine perfekten Eltern, gute Eltern reichen vollkommen aus. Gute Eltern zeichnen sich dazu aus, dass sie über emotionale Verfügbarkeit/ Feinfühligkeit eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufbauen. Gute Eltern unterstützen ihre Kinder, wenn diese etwas selber machen wollen und darin ihre Fähigkeiten auszubauen. Sie geben ihren Kindern Anerkennung, durch Lob. Und sie schaffen ein Umfeld, indem Kinder Lust und Freude empfinden. Weshalb dein Kind keine perfekten Eltern braucht: Kinder können bereits Frustration aushalten, in einem gewissen Maß auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse warten. Dein Kind braucht keine perfekten Eltern, sondern Dich!

Quellen:

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